Vor zehn Jahren erschien die deutsche Ausgabe dieses modernen Klassikers in der Übersetzung von Hans-Christian Oeser zum ersten Mal im Programm des Steidl Verlags. Gerade ist der Text unter seinem Originaltitel "Foster" in Großbritannien in einer von der Autorin leicht überarbeiteten Fassung neu erschienen und auch die deutsche Übersetzung wurde entsprechend angepasst.
Keegan lässt ein kleines Mädchen von dem Sommer erzählen, in dem ihr Vater sie zum kinderlosen Ehepaar Kinsella bringt, die sie für mehrere Wochen in Obhut nehmen, weil ihre Mutter ein weiteres Baby erwartet und es zu Hause nicht für alle hungrigen Mäuler reicht. Der vorsichtige Umgang miteinander und die kargen Dialoge im Hause Kinsella bringt Claire Keegan so meisterhaft aufs Papier, dass man schon nach wenigen Zeilen von der besonderen Atmoshäre dieses Textes gefangen ist.
Gerade wurde die Geschichte in Irland unter dem Titel "The Quiet Girl" verfilmt und für einen Oscar nominiert.
Claire Keegan, Das dritte Licht
Steidl, 978-3-96999-199-2 , 20,00 €
Ein Buch wie eine Naturgewalt.
Das ganze Leben des Anton Rosser lässt Tommie Goerz hier auf 230 Seiten in genau 100 Kapiteln vor uns ablaufen.
Ein Mensch, der 1897 geboren wird, zeitlebens mit der Welt und mit sich selbst ringt, in zwei Weltkriegen kämpft und sich nicht geschlagen gibt, bis er 1968 allein auf seinem Hof im Tal stirbt.
Eine düstere Geschichte, die phänomenal erzählt ist.
Sparsame Sätze ergeben ganz großes Kino!
Tommie Goerz, Im Tal
ars vivendi, 978-3-7472-0508-2, geb. 22 €
In diesem Jahr wäre Brendan Behan einhundert geworden. Allerdings ist er bereits 1964 verstorben und hat dennoch einen epochalen Eindruck in der irischen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassen.
Nun liegen in dieser schönen Salto-Ausgabe seine sämtlichen Erzählungen in deutscher Sprache vor. Es sind nur neun Geschichten, aber jede einzelne lohnt sich, wenn man einen Eindruck vom irischen Leben der viel beschworenen Arbeiterklasse erhalten möchte.
Die hervorragenden Übersetzungen hat Hans-Christian Oeser angefertigt, der auch ein kurzes und informatives Nachwort liefert, aus dem dieses Zitat stammt: "Für Brendan Behan (1923-1964), den notorischen Sauf- und Raufbold mit der empfindsamen Seele, ist >Erzähler< kein hinreichender Begriff. Er war ein begnadeter Raconteur, mündlich wie schriftlich, in seinem Leben wie in seinem Werk."
Brendan Behan, Frau ohne Rang und Namen
Wagenbach, 978-3-8031-1376-4, 22,00 €
Aktuell ist es gelungen, ein internationales Abkommen darüber zu schließen, dass 30% der Weltmeere unter Schutz gestellt werden. Das ist ein längst überfälliger Schritt zur Erhaltung eines der wichtigsten Ökosysteme unseres Planeten.
Quallen sind in allen Ozeanen durchaus zahlreich und sie gehören vermutlich nicht zu den absoluten Lieblingstieren der meisten Badeurlauber. Allerdings ist ihre Vielfalt wesentlich größer als die paar kleinen Exemplare, die uns am Strand begegnen. Davon und von vielen spektakulären Besonderheiten dieser auch "Medusen" genannten Spezies erzählt das neue Buch von Autor Michael Stavaric und Illustratorin Michèle Ganser. Nach ihrem Erfolgstitel "Faszination Krake" der zweite und ausgesprochen gelungene Streich des Duos.
Eine bibliophile Schönheit für Leser*innen jeden Alters.
Ganser/Stavaric, Faszination Qualle
Leykam, 978-3-7011-8243-5, 26 €
Kein buchhändlerisches Jahr vergeht ohne die obligatorische Auswahl an Leuchtturm-Kalendern. Und verkauft werden diese nicht etwa nur in Küstenstädten. Die Faszination für diese ebenso markanten wie etwas aus der Zeit gefallenen Bauwerke ist ungebrochen.
Der spanische Grafiker und Autor José Luis González Macías lebt nicht in Meeresnähe und hat auch sonst keine nautischen Wurzeln. Vielmehr entdeckte er während einer Recherche zu einer Plattencover-Illustration die Schönheit der vielen über den ganzen Globus verstreuten Leuchttürme. Vor allem jener, die so weit weg aller üblichen touristischen Routen zu finden sind, dass es vermutlich keinen Menschen gibt, der sie alle gesehen oder gar besucht hat. Wie sein literarisches Vorbild Jules Verne, der seinen Roman "Der Leuchtturm am Ende der Welt" schrieb, ohne das titelgebende Objekt in Patagonien jemals besucht zu haben, machte sich Macías ans Werk und heraus kam eines der wohl international schönsten Leuchtturm-Bücher, die man aktuell bekommen kann. Ein bibliophiles Juwel.
J.L. González Macías, Kleiner Atlas der Leuchttürme am Ende der Welt
Mare, 978-3-86648-693-5, Halbleinen-Band 36,00 €
Britta Teckentrup und Thomas Harding haben bereits mit ihrem gemeinsamen Buch "Sommerhaus am See" erfolgreich das Verfahren erprobt, die Geschichte eines Hauses zu erzählen, das vielen Generationen von Menschen und deren unterschiedlichen Schicksalen als Heimat diente.
Nun haben sich die beiden an die Geschichte des wohl berühmtesten und heute meistbesuchten Hauses in Amsterdam gemacht. Herausgekommen ist ein großartiges Bilderbuch über das "alte Haus an der Gracht", das vor vierhundert Jahren errichtet wurde und viele sehr unterschiedliche Nutzungen erlebte: Wohnung, Lager, Stall und schließlich zwei Jahre lang Versteck der Familie Frank vor den Nazis. Eine völlig neue Perspektive auf die berühmte und erschütternde Geschichte der Anne Frank und ihrer Familie.
Harding/Teckentrup
Das alte Haus an der Gracht
Jacoby & Stuart, 978-3-96428-157-9, 22,00 €
Meistens können wir nicht aus unserer Haut. Aber was wäre, wenn?!
Diese Graphic Novel von Hubert und Zanzim verhandelt die Themen Gender, Sexualität und Geschlechterrollen auf eine sehr ungewöhnliche Art. Wir befinden uns in der Ritterzeit und die Hauptfigur ist eine Prinzessin. So weit, so erwartbar. Allerdings ist der Clou der Geschichte die Verwandlung der weiblichen Erzählerin in eine männliche Figur. Und das nicht mit Hilfe der klassischen Maskerade (falscher Bart und lange Hose), sondern mit einem ganz besonderen Familienerbstück, das ihr von der Patentante unter dem Siegel der Verschwiegenheit vor ihrer Hochzeitsnacht (mit dem offenkundig schwulen Gemahl) überreicht wird: einer wahrhaftigen Männerhaut, von ihren Trägerinnen zärtlich "Lorenzo" genannt.
Eine sehr hintergründige und auf hohem Niveau unterhaltsame Lektüre.
Hubert/Zanzim, In der Haut eines Mannes
Reprodukt, 978-3-95640-341-5, 29,00 €
Schon seit vielen Jahren hat Mariana Leky bewiesen, dass sie sowohl die lange als auch die kurze Form beherrscht.
Jetzt bietet sie uns 39 mal Erkenntnis, Trost und beste Unterhaltung mit ihren literarischen Kolumnen.
Wir erfahren, dass die Pubertät eine Kontinentalverschiebung ist, warum es ein Liebes-Grundeinkommen geben sollte und dass Herr Kalscheuer vom Schlüsseldienst aussieht "wie eine Mischung aus Peter Handke und Peter Lustig".
Fein gesponnen und doch wunderbar geerdet ist "Kummer aller Art" eine Lesefreude sondergleichen.
Mariana Leky, Kummer aller Art
DuMont, 978-3-8321-8216-8, 22 €
Man wird ja wohl noch träumen dürfen ...
Okay, ich habe keinen großen alten Baum im Garten stehen, an oder auf den ich ein Baumhaus bauen könnte. Aber ich würde es schon gern wollen. Und auch ohne Privatbaum ist die Faszination, die allein die Idee eines Baumhauses auslöst, nicht zu leugnen.
Und da kommt dieses schön gestaltete und Schritt für Schritt durchdachte Buch genau recht. Hier bekommt man alle, aber auch wirklich alle Handgriffe, Tricks und Tipps zum Bau eines großen, kleinen, verspielten oder verschnörkelten Baumhauses gezeigt. Einfach genial!
Und am Schluss wird man auch noch mit etlichen tollen Fotos schon fertiger Baumhäuser belohnt.
Das ideale Ostergeschenk für Mama und Papa ;-)
Richter/Ruggeberg/Sparshott, Wie man ein Baumhaus baut
Laurence King, 978-3-96244-313-9, 24 €