Der dritte Band der hochspannenden Darktown-Trilogie von Thomas Mullen.
"Lange Nacht" spielt 1956, acht Jahre nachdem die ersten afroamerikanischen Polizisten in Atlanta, Georgia ihren Dienst im schwarzen Stadtteil "Darktown" antraten. Tommy Smith hat seine Uniform abgegeben und arbeitet als Polizeireporter für die führende schwarze Tageszeitung "Atlanta Daily Times". Gerade brütet er über einem Artikel und irgendwann muss er wohl zwischen seiner Schreibmaschine und der Whiskey-Flasche eingeschlafen sein, als ihn ein Schuss aufschreckt. Eine Etage höher findet er seinen Chef Arthur Bishop erschossen zwischen Schreibtisch und Bücherstapeln liegend. Smith ruft den Notarzt und dann wählt er die ihm wohlbekannte Nummer seines alten Polizeibüros. McInnes und Boggs, seine ehemaligen Kollegen übernehmen den Fall und es beginnt eine Ermittlung zwischen Korruption, rivalisierenden FBI-Agenten, latentem Rassismus in der Polizeibehörde und den erstarkenden Rassenkonflikten, deren Wortführer ein Reverend aus Atlanta ist: Martin Luther King.
Thomas Mullen, Lange Nacht
DuMont, 978-3-8321-8143-7, 24 €
Manchmal muss man nur den ersten Satz lesen, und man weiß, dass man es mit einem sprachgewaltigen Text zu tun hat. So auch in diesem Roman der jungen italienischen Autorin Giulia Caminito:
„Sie nannten ihn den Krumenbub, weil er der Sohn des Bäckers und weil er schwach war, er hatte keine Kruste, an der Luft gelassen hätte er Schimmel angesetzt, nicht einmal für die Brotsuppe hätte er getaugt, nicht einmal als Hühnerfutter.“
Die Rede ist von Nicola. Er und sein bewunderter großer Bruder Lupo überleben als einzige Kinder der Bäckersfamilie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der italienischen Provinz, den Marken. Caminitos Roman zeichnet höchst faszinierend das Leben der Landbevölkerung zwischen täglichem Überlebenskampf, strengem katholischem Glauben, anarchistischem Kampf, Erstem Weltkrieg, Spanischer Grippe und dem Aufstieg des Faschismus.
Ein literarisches Ereignis, hervorragend übersetzt von Barbara Kleiner.
Giulia Caminito, Ein Tag wird kommen
Wagenbach, 978-3-8031-3325-0, 23,00 €
Sage und schreibe einundneunzig Begriffe kann die deutsche Sprache mit dem Wort Klima bilden. Sie alle sind auf der letzten Seite des zum ersten Mal erscheinenden Klima Kalenders 2021 aufgelistet. Alphabetisch beginnt das mit "Klimaaktivist" und endet mit "Klimazone". Aber auch "Klimaflüchtling" und "Klimaleugner" befinden sich in der Liste.
Keine Angst, dieser klimaneutral (auch dies befindet sich in der Wort-Liste) gedruckte und sehr schön gestaltete Wandkalender bietet nicht nur Text, vielmehr gibt es jede Woche des kommenden Jahres ein eindrucksvolles Bild und einen kurzen Kommentar zum entsprechenden Umwelt-Thema, das die vielfältigen Fotos unseres blauen Planeten thematisieren.
Eine alltäglich überzeugende Möglichkeit, dem Handeln für unsere Umwelt und unser aller Zukunft Vorschub zu leisten.
Klima Kalender 2021, herausgegeben von Hermann Vinke
Ed. Momente, 978-3-0360-8021-5, 22 €
Ein Elch im Zelt, das ist auch bei den Ewenken tief in den Wäldern der Inneren Mongolei nicht alltäglich. Aber für den an sich schon sehr erfahrenen Jäger Gree Shek wird das zu einer überraschenden Realität, als ihm ein Elchjunges bis in sein Rentierlager folgt. Da er keineswegs unschuldig am Schicksal des noch hilflosen Jungtieres ist, denn er hat ohne es zu ahnen und zu seinem eigenen Entsetzen dessen Mutter auf der Jagd erlegt, nimmt er den Elch wie ein neues Haustier auf und peppelt ihn groß. Er gibt seinem neuen Mitbewohner den zärtlichen Namen Xiao Han (Kleiner Elch), dem das Tier dank großen Hungers und guter Fütterung im wahrsten Sinne schnell entwächst. Zum weit und breit stattlichsten Exemplar seiner Rasse wird er bald. Doch ein Leben mit den Menschen birgt auch so mancherlei Besonderheiten und die Erfahrungen, die Xiao Han macht, bleiben nicht nur spielerisch und unkompliziert.
Eine wunderbar gezeichnete und erzählte Geschichte in beeindruckend großem Format.
Blackcrane / Er, Der Elch der Ewenken
Jacoby & Stuart, 978-3-96428-071-8, 19,00 €
Man darf wieder mal ins Schwärmen geraten: Kokoro, das neue Album des italienischen Zeichners und Erzählers Igort ist ein Meisterwerk. Als schön gebundenes und hervorragend gedrucktes Querformat ist es bei Reprodukt als bereits fünftes Buch dieses Künstlers erschienen. Und zum dritten Mal beschäftigt er sich darin mit seinem Sehnsuchtsland Japan und dessen sehr eigenständiger, für uns Europäer oft rätselhafter und ebenso faszinierender Kultur. In Form eines gezeichneten Skizzen- und Tagebuchs nimmt uns Igort mit auf eine Reise durch Literatur, Film, Comic und Musik des Landes der aufgehenden Sonne oder auch, wie es eine Strömung der japanischen Nachkriegskutur nannte des "Volkes der sinkenden Sonne". Uralte Tradition und Popkultur treffen immer wieder höchst kreativ aufeinander und Igorts ganzseitige Aquarelle gehören zu den besten der internationalen Comic-Kunst.
Igort, Kokoro
Der verborgene Klang der Dinge
Reprodukt, 978-3-95640-23-3 , 24,00 €
Propaganda ist so alt wie die Menschheit. Allerdings haben sich ihre Mittel und Wege deutlich fortentwickelt. Während des 2. Weltkriegs wurde Propaganda auf sämtlichen zur Verfügung stehenden Kanälen, per Funk, Film, Zeitung und eben auch per Flugblatt von allen Kriegsparteien betrieben. Unterschieden wurde im wesentlichen zwischen Eigenpropaganda, also Motivation der eigenen Truppen und Feindpropaganda, gezielter Demotivation der feindlichen Soldaten. Das vorliegende Buch dokumentiert höchst eindrucksvoll die Mittel und Botschaften der Feindflugblätter aller fünf wesentlich Kriegsbeteiligten anhand gut erhaltener Beispiele aus der Sammlung der Berliner Staatsbibliothek. Sie sind hier zudem komplett vierfarbig und in Originalgröße oder nur minimal verkleinert reproduziert. Hervorragend wird man von den begleitenden Texten über die jeweiligen Hintergründe informiert.
U.a. in Zeiten schräger "Querdenker"-Meinungsmache eine sehr heilsame Lektion.
Feindflugblätter des Zweiten Weltkriegs
Herausgegeben von M. Rauchhaus und T. Roth
Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, 978-3-946990-41-3 , 28 €
"Nicht mal einen Minikuchen mit einer einzigen Kerze" darf Ruth ihrer Lebensgefährtin zum Geburtstag backen. Sydneys Siebenundvierzigster steht an und sie benimmt sich jedes Jahr so. "Geburtstage sind was für Kinder", sagt sie und zieht sich in ihr Atelier zurück. Sydney ist Künstlerin und arbeitet an einer neuen Graphic Novel. Heute zeichnet sie aber zunächst Ruth als Braunbär, der den Kopf auf den Boden hängen lässt und schreibt darunter: "Bären füttern verboten". Danach landet das Blatt in einer Kiste.
In diesem Roman geht es nicht um Bären. Rachel Elliott hat einen wunderbar schrägen, zutiefst einfühlsamen und dabei erfrischend unterhaltenden, immer wieder mit überraschenden Perspektivwechseln aufwartenden Roman über Menschen geschrieben, deren Leben nicht geradlinig, nicht stromlinienförmig und schon garnicht veraussehbar abläuft. Menschen, die wie Sydney seit ihrer Jugend an einem Trauma, einem Verlust leiden und verzweifelt die richtige Strategie suchen, damit umzugehen.
Eine von der ersten bis zur letzten Seite erfreuliche Lektüre!
Rachel Elliott, Bären füttern verboten
Mare, 978-3-86648-624-9, 22,00 €
Im Rheingau, hoch über dem deutschesten aller Flüsse thront sie, die romantische Burg Ernsteck. Bewohnt wird sie von K.D. Pratz, einem der erfolgreichsten Malerfürsten seiner Generation. Je teurer seine Bilder auf dem Markt wurden, desto mehr hat er sich hier von der Welt zurückgezogen. Nun aber hat ein angesehenes Frankfurter Museum beschlossen, seinen neuen Anbau exklusiv dem Lebenswerk des Malers zu widmen. Also kann er den Besuch der ambitionierten Museumsdelegation diesmal nicht verweigern. An einem heißen Sommerwochenende nimmt die sich daraus ergebende "Begegnung der dritten Art" ihren Lauf.
Mit seinen hochkomischen Dialogen gehört der neue Roman von Kristof Magnusson zum Unterhaltsamsten, was man derzeit zum Thema Kunst und Gesellschaft lesen kann. Gibt´s auch als Hörbuch, gelesen vom großartigen Devid Striesow!
Kristof Magnusson, Ein Mann der Kunst
Kunstmann, 978-3-95614-382-3, 22 €
Hörbuch, 978-3-95614-409-7, 20 €
Was die schnelle Wissensvermittlung angeht, hat das Internet heute anderen Medien den Rang abgelaufen. Allerdings ist es auch im digitalen Zeitalter noch etwas ganz anderes, ein gut gemachtes Buch in der Hand zu halten und darin zu blättern, als vor dem Bildschirm nach Informationen zu googeln. Umso mehr gilt das für ein so sorgfältig und nach allen Regeln der "schwarzen Kunst" hergestelltes Buch wie den Faksimiledruck einer der berühmtesten Renaissance-Handschriften.
Der Buchdruck hatte längst seinen Siegeszug angetreten, als der Kalligraph Georg Bocskay 1561 begann, für Kaiser Ferdinand I. eine ausgiebige Textsammlung auf Pergament zu schreiben, wobei er jede Seite mit einer anderen reich verzierten Schriftart gestaltete. Erst viele Jahre nach dem Tod des Kalligraphen wurden dessen Texte schließlich kongenial vom besten Illustratoren seiner Zeit, dem Niederländer Joris Hoefnagel malerisch ergänzt und auf künstlerisch höchstem Niveau vollendet. Hier eine Beispielseite.
Diese Faksimileausgabe ist eines der schönsten Geschenke, die ein bibliophiler Mensch sich nur wünschen kann.
Mira Calligraphiae Monumenta
Eine kalligraphische Handschrift des sechzehnten Jahrhunderts
Hatje Cantz, 978-3-7757-4752-3, 78,00 €